Abschied nehmen vom letzten Kinderwagen (oder: Warum gibt es keine Kinderwagenfee?)

Als unsere Mädels vier, drei und drei Jahre alt waren (also vor mittlerweile vielen Jahren), haben wir unseren letzten Kinderwagen aussortiert. Ein Symbol für das Ende aller Babyzeiten war das und es fiel mir ziemlich schwer. Aber es steht auch für einen Klassiker beim Minimalisieren – denn beim Ausmisten geht es nicht um die Dinge.

Nein, beim Aussortieren von Dingen haben wir es mit Gefühlen zu tun. Und sehr oft Abschieden von alten Zeiten und Lebensabschnitten, die nicht mehr zurückkommen. Dann kann es echt schwierig sein.

Aber gleichzeitig liegt eine große Chance darin: Sich mit den Gefühlen zu befassen, Vergangenes hinter sich zu lassen und frei und froh in die Zukunft zu schauen.

Wie das geht? Heute würde ich sagen: Einmal ordentlich durchheulen durch den Abschied. So lange es eben dauert. Es ist ja auch ein kleiner Trauerprozess. Der klappt am besten, wenn man ihn in Ruhe durchlaufen lässt.

Damals hab ich den folgenden Text geschrieben für meine kleine (bis heute unveröffentlichte) Anekdotensammlung aus dem Leben einer Dreikindmuddi. Nur leicht abgeändert ist er hier für dich. Damals hatte ich mit Minimalismus noch nichts am Hut. Umso krasser, wie gut er in diesen Blog passt. Voilà und viel Spaß damit!

Ode an den Kinderwagen

Für alle möglichen Abschiede gibt es eine Fee. Die Zahnfee ist der Klassiker. Dann gibt es die Schnullerfee und bei Bedarf auch noch die Windelfee. Und so weiter.

Manchmal frage ich mich, wo eigentlich die Feen für die Eltern sind. Ich finde, für die Eltern, zumindest für manche, vielleicht auch eher die Mütter, oder zumindest einige, oder jedenfalls… für mich – na GUT! Vielleicht auch nur für mich – , müsste es eigentlich auch ein paar Feen geben.

Zum Beispiel die Kinderwagenfee.

Gestern habe ich unseren Einzelkinderwagen an eine wohltätige Einrichtung gespendet. Da hätte ich ihm, als er da vor Ort so zerlegt in seinen Kisten lag, am liebsten eine Abschiedsrede gehalten. Und zwar ungefähr so:

„Lieber Kinderwagen!

Du lieber, lieber Kinderwagen. Du warst unser Erster. Du kamst schon von weither zu uns, schon ein anderes Kind war in dir gefahren und dann warst du unserer und schaukeltest unser erstes Baby durch die Welt und uns Eltern durch magische Momente. Vor allem durch den ersten Spaziergang mit Baby überhaupt.

Schon dafür brauchtest du deine Geländetauglichkeit im festgetretenen, dreimal aufgetauten, durchgematschten und wieder überfrorenen Februarschnee. Du zwinkertest mir beruhigend zu, als die ersten Passanten ungefragt der Meinung waren, das kleine Baby werde doch zu sehr durchgeschüttelt bei diesem Wetter und könne schlimme Verletzungen erleiden. „Nein“ flüstertest du, „alles gut, die Federung ist topp, guck doch wie friedlich das Mäuslein schläft“.

Endlich Ausmisten - die Checkliste mit Fragenfinder, hier anfordern.

Traurig warst du bestimmt, als du in Runde zwei gar nicht mehr zum Einsatz kamst, denn für zwei Babys hattest du nun wirklich keinen Platz. Du durftest stattdessen noch länger im Keller wohnen.

Nun hast du deinen größeren Nachfolger, dessen Bremsen uns irgendwann eh verließen, längst überlebt und es war doch mal Zeit für dich, aufzubrechen und deinen Platz freizumachen für kleine bunte Fahrräder.

Ich habe mal den Tatsachen mutig ins Auge geblickt und dich, vom Zahn der Zeit gezeichnet, aber wacker bereit für eine weitere Runde, zu Leuten gebracht, die dich wieder schön machen und dann an Menschen vermieten, die für einen eigenen Kinderwagen kein Geld haben. Das ist schön, da bist du gut aufgehoben und neue Babys können bequem in dir fahren.

Und nun bist du weg, und ich bin ganz schön traurig!

Aber wenn ich recht darüber nachdenke, kann es sein, dass sich die Erinnerung an dich übertrieben golden in mein sentimentales Hirn gebrannt hat. Wahrscheinlich stehst du irgendwie für vergangene, schöne Zeiten, die nicht zurückkommen und von denen ich denke, dass du sie jetzt mitgenommen hast.

So ein Quatsch!

Du warst wirklich groß und sperrig und schwer. Ich kann froh sein, dass ich dich nicht mehr ins Auto, aus dem Auto, die Treppe hoch, die Treppe runter, in die Wohnung, aus der Wohnung, Stufen auf, Stufen ab wuchten und nicht mehr durch enge Ladengänge quetschen muss.

Dass jemand anderes sich nun dauernd fragen muss, was er beim Zusammensetzen des Verdecks falsch gemacht haben mag, dass es jetzt so durchhängt. Dass jemand anderes sich jetzt um deine zwar sehr fahrkomfortablen, aber ständig platten Luftreifen kümmern muss, dass jemand anderes sich die Finger an dir klemmt, das Schienbein an dir stößt und den Rücken an dir verrenkt.

Dass nun andere Nachbarn sich über dich beschweren und dass du nun andere Treppenhäuser verstopfst.

Unsere Kinder können selbst laufen, laufradeln und sogar Fahrrad fahren. Du könntest gar nicht mehr mit uns mithalten.

Schön war’s mit dir, lieber Kinderwagen, aber nun ist es gut.

Lebewohl!“

Ja, das wäre doch mal ein seltener Auftritt bei der Abgabe einer Sachspende gewesen. Stattdessen bin ich natürlich einfach gegangen. Finde aber immer noch, dass es wirklich eine Kinderwagenfee geben sollte.

Aber warum wünsche ich mir das hier so ohnmächtig? Bin ich nicht selbst jede Fee? Kann ich nicht sogar selbst bestimmen, wann Feen aufschlagen, durch welche Fenster sie kommen, was sie in ihre Briefe schreiben und vor allem, welche Geschenke sie bringen? Und dass sie wirklich so gut wie jeden auch noch so riesigen Wunsch erfüllen, wenn nur der Abschied schwer genug ist?

Also, mein Kinderwagenabschied war wirklich der Hammer, liebe Kinderwagenfee. Ich schicke dir demnächst eine Liste mit lauter teuren Dingen, die ich mir echt mal wünschen würde. Du darfst dir dann davon einen Wunsch zum Erfüllen aussuchen, ich will mal nicht so sein.

— Ende der Kinderwagengeschichte —

Ja, manches würde ich heute anders machen oder schreiben. Nur noch sehr selten spreche ich zum Beispiel mit Dingen als wären es Menschen 😉 (Aber sogar das hilft manchmal, wenn das Loslassen schwer fällt, ob du es glaubst oder nicht.)

Auch hätte ich für die Kinderwagenfee heute wahrscheinlich keine lange Liste mit teuren Dingen, die ich mir wünsche.

So habe ich mich also verändert, auch sehr interessant zu sehen an diesem Text.

Ich wünsche dir, dass du deine Abschiede für dich nutzen und an ihnen wachsen kannst und dich dann einfach nur noch unglaublich befreit fühlst mit all dem Platz in Wohnung und Kopf, wenn die alten Dinge weg sind.

Denn ganz ehrlich: Vermisst habe ich diesen Kinderwagen ab dem darauffolgenden Tag keine einzige Sekunde.

Danke für deine Zeit.

Birte

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