Im Juni 2024 habe ich mir ein einwöchiges Achtsamkeits-Intensivseminar gegönnt. Und zwar im Ökodorf Sieben Linden. Ein wunderbarer Ort. Ich habe viel, viel, viel mitgenommen und bin mal so richtig ruhig geworden. Hier kommt mein Bericht.
Was ist MBSR?
MBSR steht für „Mindfulness-based Stress Reduction“, also achtsamkeitsbasierte Stressreduktion. Kurz (und hoffentlich nicht allzu laienhaft halbrichtig) gesagt ist das Ziel, Stress besser zu verstehen und durch eine neue Einstellung sowie Achtsamkeitstechniken negativen Stress besser zu erkennen, zu reduzieren und einen neuen Umgang mit ihm zu finden – und damit auch mit den Karten, die das Leben so spielt.
Das Intensivseminar dauerte von Sonntag Abend (Beginn 20 Uhr) bis zum darauffolgenden Freitag gegen Mittag.
Die Trainerin war die liebe Gloria (man kann Menschen wirklich innerhalb von wenigen Tagen lieb gewinnen) von www.alltagsinsel.net.
Veranstaltungsort war – Sieben Linden.
Was (und wo) ist das Ökodorf Sieben Linden?
Das Ökodorf Sieben Linden gibt es seit 1997. Es liegt in Sachsen-Anhalt, in Beetzendorf, zwischen Wolfsburg und Salzwedel.
Mittlerweile ungefähr 150 Menschen leben hier, in einer losen Ansammlung wunderschöner Häuser auf einem tollen, grünen Gelände. Sie leben gemeinschaftlich zusammen auf eine möglichst ökologische Art. Es ist für mich eine faszinierende, vorbildliche, grandiose Idee: Durch Teilen, Zusammenwirken, Hinterfragen hergebrachter Lebensstile, durch Andersmachen erproben und erschaffen die Menschen in Sieben Linden neue, zukunftstaugliche Lebensstile – und tragen das Erlernte dann in die Welt. Zum Beispiel mit Seminaren.
Mir als altem Öko (bei mir ist das ein Kompliment) gefällt dieser Ort schon deshalb.
Und dann ist er auch noch wunderwunderschön.
Es ist ruhig (bis auf den Fröschechor und das Vogelkonzert). Es ist grün, auf den vielen Blumenwiesen summt es. Es fahren keine Autos, bis auf Lieferverkehr müssen die draußen vor dem Dorfeingang bleiben. Die Gebäude sind so weit wie möglich aus natürlichen Baumaterialien – Holz, Stroh, Lehm und so weiter (Strohballenbauweise). Sehr schön und komfortabel. Das Essen (vegan, nur teilweise vegetarisch) ist frisch gekocht, das Gemüse kommt aus dem eigenen Garten und es schmeckt einfach nur fantastisch.
Nachts ist es dunkel, keine Straßenlaterne verhindert den Blick auf den schönsten aller Sternenhimmel.
Ich sag dir, da musst du auch mal hin. Wirklich.
Und wenn du vorher noch mehr über Sieben Linden wissen willst, dann klick doch mal auf www.siebenlinden.org oder führe dir dieses Buch zu Gemüte, in dem ein langjähriger Bewohner Sieben Lindens sehr unterhaltsam und ausführlich von Sieben Linden erzählt: Michael Würfel: Öko Dorf Welt
Warum dieses Seminar an diesem Ort?
Ganz ehrlich? Ich wollte einfach schon sehr, sehr lange mal nach Sieben Linden.
Und dann war da diese Bildungsurlaubs-Idee. Aus den vielen (alle sehr interessanten) Seminaren in Sieben Linden passte MBSR einfach erstmal vom Datum her am besten. Und klang interessant, also hab ich das genommen. Und es war die beste Entscheidung für mich.
Ich glaube ja an Schicksal, du auch?
So war die Woche
Für jemanden wie mich, der sich schon so lange auf diesen Aufenthalt in Sieben Linden gefreut hat, ist natürlich die pure Ankunft ein Genuss.
Ankommen
Der Bus holpert über die Dörfer und hält schließlich – gefühlt mitten im Nirgendwo, an einer niegelnagelneuen Bushaltestelle an einer niegelnagelneuen Kehre.
Beim Aussteigen ist es still, ich gehe ins Dorf und kann durchatmen.
Nur der lärmende Rollkoffer stört, na suuuper. Da hat wohl jemand nicht lang genug nachgedacht. Fährt eh nicht gut hier, der Koffer, denn Asphalt gibt es im Dorf auch nicht.
Trotzdem: Es ist toll hier.
Ich bleibe stehen, der Koffer hört auf zu schimpfen. Es ist still. Grün. Summend. Der einzige Lärm ist jetzt in meinem Kopf, all die Alltagsgedanken.
Das Hauptgebäude mit freundlichsten Stimmen bei der Seminaranmeldung ist ebenso nachmittagsstill, genauso wie mein wunderschönes 4-Bett-Zimmer im „Strohtel“, das ich dank Absage eines ganzen Seminars sogar ganz allein bewohnen darf. (Es gibt auch Einzel- und Doppelzimmer.)
Das MBSR-Intensivseminar beginnt
Nach dem ersten superleckeren Abendessen beginnt das Seminar. Die Gruppe aus ca. 15 Menschen ist bunt gemischt und sehr freundlich. Seminarleiterin Gloria ist ein wunderbarer Ruhepol. Der Seminarraum der Hammer – mit einer großen Fensterfront auf die bunteste Blumenwiese mit sommerblauem Himmel darüber.
Diese angenehme Ruhe umschließt mich in den folgenden Tagen. Die Alltagsgedanken werden leiser, der Geist rast nicht mehr so umher.
Was wir lernen
Im Seminar erlernen wir verschiedene Achtsamkeitstechniken und üben sie ein. Vor allem verschiedene Meditationen und ein paar Yoga-Übungen, aber auch die Beobachtung und bewusste Ausführung von Alltagshandlungen, bewusstes Essen und Co.
Wir erfahren mehr über die wissenschaftlichen Hintergründe und Mechanismen von Stress. Was ist guter Stress, was schlechter?
Dann erkunden wir neue Sichtweisen auf das, was das Leben so bereit hält. Für mich ein totaler Schlüsselgedanke: Zu versuchen, alles, was im Leben so passiert, erstmal wertungsfrei zu betrachten. Denn alles gehört dazu. Nicht sofort in Gut oder Schlecht zu sortieren und die schlechten Ereignisse weghaben zu wollen – sondern als Herausforderung zu betrachten, die das Leben gerade so spielt.
Das ist natürlich leichter gesagt als getan, aber ich kann es ja noch üben.
Auch Themen wie achtsame Kommunikation, Achtsamkeit am Arbeitsplatz und so weiter werden behandelt.
Alle bekommen Raum, ihre aktuellen Geschichten mitzubringen, auszusprechen oder auch nicht. Die Themen sind sehr vielfältig.
Alles ist so herrlich ruhig, zwanglos, zugewandt, menschlich. Auch zwischen den Teilnehmer:innen entwickeln sich in den Pausen und beim Essen schöne Gespräche. So viele verschiedene Perspektiven so vieler verschiedener Menschen – und immer sind auch Inspirationen und Lehren in den Geschichten und Gesprächen, die auch mir weiterhelfen können.
Schweigen
Gesprochen wird aber nicht immer. Ganz wichtiger – und für mich überraschend wundervoller – Teil des Ganzen ist das Schweigen. Schon ab Montag sind wir eingeladen, einzelne Mahlzeiten in Schweigen zu verbringen und können uns auf Wunsch einen entsprechenden Button „Ich bin im Schweigen“ anstecken. So können alle sehen, dass man nicht sprechen möchte.
Ich als alte Quasselstrippe hätte nie gedacht, dass mir das Schweigen so gut gefallen würde.
Der große Balkon, auf dem wir dank des schönen Wetters beim Essen sitzen können, bietet einen wunderschönen Ausblick ins Grüne und schweigend kann man sich gut ihn vertiefen oder das achtsame Essen praktizieren.
Ich schweige sogar freiwillig weiter. Beim Essen, am Abend, in manchen Pausen. Ich lese auch nicht mein dickes Buch. Ich greife auch nicht zu meinem Häkelbeutel. Und – außer für abendliche Anrufe zuhause – auch nicht zu meinem Smartphone, obwohl man theoretisch natürlich das Sieben Lindener Smartphone-Verbot in seinem Zimmer heimlich umgehen könnte. Nein, es tut ja alles viel zu gut. Ich sitze, gehe spazieren, schaue, ruhe aus. Diese Stille im Kopf.
Tag der Achtsamkeit
Und am Donnerstag ist „Tag der Achtsamkeit“. Da wird den ganzen Tag gemeinsam geschwiegen, meditiert, die über die Woche gelernten Achtsamkeitsübungen werden wiederholt. Nur Gloria spricht ihre Anweisungen und führt mit wenigen Worten durch den Tag, alle anderen sind still.
Es ist eine Herausforderung, aber eine gute. Und natürlich ist alles freiwillig, immer, alle Bedürfnisse und Gefühlslagen sind richtig.
Der Rücken schmerzt nach der langen Sitzmeditation, beim möglichst unbewegten Liegen auf der dünnen Yogamatte entsteht doch die ein oder andere Druckstelle, die schweigende Gehmeditation mitten auf dem Dorfplatz fordert das „Egal-was-andere-denken-Gefühl“ heraus.
Die Sieben Lindener Menschen wundern sich eh über gar nichts mehr, sagt Gloria.
Am Donnerstag Abend sitzen wir zusammen unter einer Linde (vielleicht eine aus dem Namen?), holen uns einen Drink aus dem Gemeinschaftswohnzimmer und reden.
Als am Freitag das Seminar gegen Mittag zuende geht, sind wir traurig. Aber wir haben auch viel gelernt.
Was habe ich mitgenommen?
Gegen Ende der Woche macht man sich einen Plan, welche Achtsamkeitsinseln man in seinen Alltag einbauen und worauf man achten möchte.
Ich habe mich bemüht, mir nicht zu viel vorzunehmen (mach ich nämlich leider oft), im Alltag habe ich aber – jetzt, vier Monate später – trotzdem noch nicht alles umgesetzt. Das bewerte ich jetzt mal nicht sondern so ist es. (Ha, auch das hab ich gelernt.)
Dinge bewusst tun
Was ich täglich mache – denn das erfordert keine zusätzliche Zeit und hilft mir persönlich wirklich sehr beim Runterkommen im wuseligen Alltag – ist, Dinge bewusst zu tun.
Wenn ich mir dann also beispielsweise einen Kakao mache, beobachte ich alle Handgriffe, schau und hör meinen Handlungen dabei genau zu und schweife so auch nicht mit den Gedanken ab zu irgendwelchen To Dos oder Sorgen. Ich mache mir einfach einen Kakao und konzentriere mich nur darauf. Ich werde gleich ruhiger und merke, wie mich das entspannt. Das ist wirklich sehr empfehlenswert.
Meditation
Auch gelegentliche Meditationen habe ich schon eingebaut, stresse mich aber nicht mit dem Rest, den ich noch nicht schaffe.
Akzeptanz des Moments
Ein Bild, das Gloria in ihrer Präsentation gezeigt hat, hilft mir ebenfalls oft im Alltag: Das war eine Zusammenstellung verschiedener Bilder von Lebenssituationen – schöne und schlimme. Dann allerdings werden alle mit einem grünen Haken versehen: Es gibt kein Schön und Schlimm, sondern es sind alles Situationen und Augenblicke. Diesen Gedanken habe ich mir schon sehr oft in Erinnerung gerufen.
Erfolgreich ausprobiert habe ich das nur an einer Kleinigkeit, aber immerhin: Im Sommerurlaub an der Nordsee war es nicht so warm wie man es gern hätte und wenn man aus dem Wasser kam, war es ziemlich kalt. Ich habe mir vorgenommen, das nicht doof zu finden und schnell wieder warm werden zu wollen, sondern einfach nur zu bemerken, dass es sich etwas kalt anfühlt. Und ich schwöre dir, ich fand es dann schon gleich gar nicht mehr so kalt! Ich alte Frostbeule, immer war ich total bibberig und jetzt? Gehe ich als einzige gemäßigten Schrittes Richtung Strandmuschel, lasse noch ein bisschen den Blick in die Ferne schweifen und greife erst danach zum Handtuch. Krass.
Natürlich ist es sehr viel schwerer, das auch mit schwierigeren oder richtig schweren Situationen zu schaffen. Aber mit genug Übung scheint es möglich zu sein.
Weiterschwärmen könnt ich jetzt noch lange. Aber ich lasse dir einfach nochmal die Empfehlungen da und wünsche dir, dass du auch mal in einen solchen Genuss kommst.
MBSR-Trainings: Gloria Kison und www.alltagsinsel.net
Wunderbarer Ort: Ökodorf Sieben Linden, www.siebenlinden.org
Auch noch viele andere schöne Seminare: Sieben Linden Seminarangebot – der Lernort Sieben Linden
Mehr Infos zu Sieben Linden: Buch „Öko Dorf Welt“ von Michael Würfel
Und – falls du auch irgendwas schreibst – die Blognacht mit Anna Koschinski (in deren heutiger Veranstaltung unter dem Motto „Ruhepol“ dieser Artikel entstanden ist).
Hat das was mit Minimalismus zu tun?
Ich finde ja.
Der Geist kommt zur Ruhe, unnötige Gedanken dürfen mal warten. Es tritt in den Vordergrund, was wirklich zählt.
Themen und Erkenntnisse werden hochgespült, so kann man sie anschauen und sich damit beschäftigen – so ist es auch beim Betrachten von Dingen, die wir aussortieren möchten. Nicht wenige dieser Gedanken werden auch damit zu tun haben, wie wir uns im Leben immer weiter bewegen, Lebensabschnitte hinter uns lassen, unabhängiger werden von der Meinung anderer, weil wir mehr wissen, was wir selbst wollen.
Die Akzeptanz! Wie in allen schwierigen Momenten können wir sie auch auf unserem Weg zu einer minimalistischen Lebensweise einzusetzen versuchen.
Und nicht zuletzt: Im Ökodorf gibt es kaum Unnötiges, denn Unnötiges verschwendet unnötig Ressourcen.
Es ist so toll, denn es fehlt nichts.
Danke für deine Zeit und Aufmerksamkeit.